14.12.2018

compactLine: Innovation im Freileitungsbau

Spektakulär unspektakulär: Hohe Leistung über schmale Trassen

Spektakulär unspektakulär: hohe Leistung über schmale Trassen 

Für SPIE bedeutet Innovation weit mehr als neue Lösungen und verbesserter Service – für uns ist sie Anspruch und Ansporn zugleich, für unsere Kunden das Beste zu geben. Gemeinsam mit 50Hertz, dem drittgrößten Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland, und weiteren Partnern hat SPIE ein komplett neues Konzept für Hochspannungsfreileitungen entwickelt: die compactLine. Kurz gesagt handelt es sich bei der compactLine um ein neues System, mit dem vorhandene Leitungen modernisiert werden, um eine höhere Übertragungsleistung zu erreichen.

Die Idee hinter der compactLine ist ebenso spektakulär wie unspektakulär: Die Bündelkonfiguration der Leiterseile wird durch ein straff gespanntes Stahlseil (wie bei Seilbahnen oder Brücken) ergänzt, so kann der Durchhang deutlich reduziert werden. Neue Leiterseile für mehr Leistung können an diese Stahlseile angehängt werden, was zu niedrigeren Masten sowie schmaleren Trassen führt. Gleichzeitig wird die Übertragungskapazität der Stromleitung fast verdoppelt. „Die Hauptinnovation der compactLine besteht darin, dass sie weniger offensichtlich wahrgenommen wird und dass die Trassenbreite reduziert werden kann. Indem wir den Durchhang verringern und den Bewegungsradius der Leiterseile eindämmen, lassen sich vorhandene Trassen nutzen, um noch mehr Strom zu transportieren. Dadurch werden sowohl der Eingriff in die Umwelt als auch der Aufwand und die Kosten für Genehmigungen gering gehalten“, erläutert Wolfgang Marthen von SPIE Deutschland & Zentraleuropa. „Die Herausforderung bestand darin, eine Möglichkeit zu finden, die Kapazität der vorhandenen Leitungen von 220 kV auf 380 kV zu erhöhen, ohne mehr Raum in Anspruch zu nehmen oder größere Masten errichten zu müssen.“

Genau das haben die Ingenieure, die an der Entwicklung der compactLine arbeiten, erreicht. Mit ihrem innovativen Konzept haben sie es tatsächlich geschafft, die Höhe der Masten zu verringern. Anstatt die Trassen von Grund auf neu zu konstruieren, wählten die Ingenieure der compactLine vorhandene 220-kV-Stromleitungen als Ausgangspunkt für die neue Freileitung – eine Lösung, die gleichermaßen umweltfreundlich als auch energieeffizient ist. „Dank dieser innovativen technologischen Idee mussten wir keine neuen Trassen bauen“, sagt Wolfgang Marthen. „Wir können die Übertragungskapazität einer vorhandenen Trasse erhöhen, ohne diese breiter zu konstruieren. Da die Kräfte in den Stahlseilen aber deutlich höher als bei den alten Leitungen sind, ist es notwendig neue Masten zu errichten." Die compactLine schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits bietet die neue Freileitung eine Möglichkeit, um den zukünftigen Bedarf an Leitungen zu decken, die für die Übertragung erneuerbarer Energien benötigt werden. Schließlich wird die Übertragungskapazität einer vorhandenen Stromleitungstrasse von 220 kV auf 380 kV fast verdoppelt. Andererseits erfüllen die neuen Stromleitungen mit ihrer wegweisenden Konstruktion auch ästhetische Ansprüche, denn durch die kompaktere Bauweise werden die Masten und Leitungen als weniger störend wahrgenommen. Neue Trassen werden dadurch von der Öffentlichkeit eher akzeptiert, sodass es den Energieversorgungsunternehmen leichter fallen wird, die entsprechenden Genehmigungen für den Bau der leistungsstärkeren Freileitungen einzuholen.

Eine starke Partnerschaft hält alles zusammen
Wolfgang Marthen war von Anfang an bei allen Phasen der compactLine dabei. „Begonnen hat alles im Jahr 2011. Wir haben uns damals gefragt, was die Wahrnehmung einer Freileitung beeinflusst und wie wir schlankere Masten konstruieren können. Also haben wir uns im Auftrag von 50Hertz im Rahmen einer Studie auf die Suche nach ,unsichtbaren Masten‘ gemacht.“Dies war die Geburtsstunde der compactLine. Ingo Kiene, Projektleiter, war ebenfalls von Beginn an mit an Bord, und beschreibt die enge Partnerschaft, die dahinter steht: „Unsere Geschäftsbeziehung zu 50Hertz reicht schon etliche Jahre zurück. Sie waren sofort interessiert, als wir ihnen die Idee präsentierten. Wir einigten uns darauf, ein gemeinsames F&E-Projekt mit weiteren Partnern aus Industrie und Wissenschaft auf die Beine zu stellen. Die Zusammenarbeit war und ist sehr intensiv, was vor allem bei komplizierten Sachverhalten eine große Hilfe ist. Diese lassen sich bei so komplexen Projekten nun mal nicht vermeiden. Umso besser, wenn man zusammen eine gute Lösung findet."  Kurz nachdem das Partnerprojekt ins Leben gerufen wurde, stimmte das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einer Förderung der compactLine zu, sodass im Dezember 2013 der offizielle Startschuss fallen konnte.

 

SPIE_Zitate_blau_mittel „Während der mechanischen Tests konnten wir das korrekte Zusammenspiel aller Komponenten unter extremen statischen und dynamischen Belastungen nachweisen, und die elektrischen Prüfungen überzeugten uns, dass das neue Design auch alle Anforderungen an die Elektrik erfüllt."

 

Innovationen sind weder schnell noch einfach
Nachdem die theoretische Forschungsphase abgeschlossen war, ging das Team dazu über, die Kräfte zu berechnen, die letztlich auf die compactLine wirken würden. Da die compactLine nach speziellen Vorstellungen errichtet werden soll, mussten die Ingenieure das Design aller mechanischen Bauteile überarbeiten. Um herauszufinden, wie das System auf extreme Lasten reagiert, wurden an einem neu errichteten Teststandort von SPIE in Bayern mehrere mechanische Tests und Simulationen an Prototypen durchgeführt. Beispielsweise wurden durch Eislastabwurfversuche getestet, wie stark die Leiterseile hierbei belastet werden und die Gefahren unter realen Bedingungen konnten reduziert werden. Laut Wolfgang Marthen erwiesen sich diese Tests als besonders anspruchsvoll, weil dafür eine Testanlage von 1,1 km Länge erforderlich war, bei deren Bau entsprechend große Kräfte einwirkten. Als Projektleiter stand Ingo Kiene während dieses einmaligen Projekts vor einigen Herausforderungen. „Ich war viele Tage vor Ort und habe vom Boden aus den gesamten Prozess aus nächster Nähe überwacht. Normalerweise besuche ich die Baustellenstandorte nur alle zwei Wochen, aber die compactLine ist so neu und besonders, dass ich durchschnittlich drei volle Arbeitstage pro Woche dort verbrachte.“

Schließlich wurde das Ziel des Projekts erreicht und im Oktober 2017 konnte in der Nähe der rund 120 km von Berlin entfernten Stadt Jessen mit dem Bau einer Pilot-Stromleitung begonnen werden. Diese Pilot-Leitung ist 1,8 km lang und besteht aus zwei Abspannmasten und drei Tragmasten. „Während der mechanischen Tests konnten wir das korrekte Zusammenspiel aller Komponenten unter extremen statischen und dynamischen Belastungen nachweisen, und die elektrischen Prüfungen überzeugten uns, dass das neue Design auch alle Anforderungen an die Elektrik erfüllt. Zwar versuchten wir, so viele Standardbauteile wie möglich zu nutzen, aber uns war auch bewusst geworden, dass wir Komponenten wie die Isolatoren komplett neu entwickeln mussten, damit sie den hohen Zugkräften der compactLine standhalten.“ Die Ergebnisse beeindrucken auf ganzer Linie: Die Komponenten der compactLine sind für Zugkräfte von 60 anstatt wie sonst üblich 15 Tonnen ausgelegt und können die anvisierte Übertragungskapazität von 380 kV realisieren. Zum Vergleich: Das maximale Startgewicht eines Airbus A319 liegt bei etwa 68 Tonnen! Die Pilot-Stromleitung wurde Ende August in Betrieb genommen. Während einer mindestens einjährigen Überwachungsphase sollen Erfahrungen mit diesem neuen System gesammelt werden. Außerdem finden im Rahmen dieses Testzeitraums weitere Befragungen der Bürger statt, um sicherzustellen, dass ihre Interessen in allen Entwicklungsphasen dieses ehrgeizigen Vorhabens Beachtung finden.

Die Bedeutung für erneuerbare Energien
Es überrascht nicht, dass das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der compactLine spielt: Schließlich bemüht sich Deutschland, seine Abhängigkeit von nuklearer Energie und fossilen Brennstoffen einzuschränken, und vor diesem Hintergrund sind die ökologischen Vorteile der compactLine ein entscheidendes Argument. „Früher wurden Kraftwerke nah am Abnahmeort in stark industrialisierten Regionen, wie dem Ruhrgebiet, Bayern und Südwestdeutschland, errichtet“, berichtet Wolfgang Marthen. „Aber seit sich Deutschland entschlossen hat, diese Kraftwerke so schnell wie möglich stillzulegen, sind wir auf neue Energie z. B. in Form von Onshore und Offshore-Windkraft angewiesen. Diese wird vor allem in Norddeutschland produziert, muss aber an Verbraucher im ganzen Land transportiert werden.“  Und genau an dieser Stelle kommt die compactLine mit ihrem innovativen Konzept ins Spiel. „In Zukunft müssen wir das vorhandene Netz erweitern, gleichzeitig aber auch vorhandene Trassen aufrüsten. Die compactLine ist eine Möglichkeit, um dies zu verwirklichen.“  In einer Zeit, in der saubere Energie in der politischen und kulturellen Landschaft eine immer stärkere Bedeutung hat, stellt die compactLine eine Alternative für die Zukunft des Energietransports dar.

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